Fühlst du dich im Trubel des Alltags auch manchmal gestresst und angespannt oder müde und ausgelaugt? Zwei Prinzipien aus der Yoga-Philosophie können dich dabei unterstützen, deine innere Balance (wieder) zu finden.
Sthira und Sukha: Das sind die magischen Schlüsselwörter zu einem entspannteren Leben, weniger Stress und einem tieferen Verständnis für deinen Körper und Geist. Hier erfährst du, wie sie deine Yoga-Praxis und dein Leben bereichern und dir neue Ausgeglichenheit schenken können.
Sthira & Sukha – Stabilität trifft Leichtigkeit
Sthira bedeutet Stabilität, Kraft, Festigkeit und Spannung; Sukha steht für Leichtigkeit, Genuss, Freude und Entspannung.
Die beiden Sanskrit-Begriffe stammen aus dem Yogasūtra, einem zentralen Ursprungstext des Yoga. Sie sollen uns daran erinnern, dass die Yogapraxis (und auch unser Leben) aus dem Tanz zweier Gegensätze besteht: An- und Entspannung. Diese beiden Prinzipien sind wie Yin und Yang; sie ergänzen sich und zeigen sich überall in unserem Leben – in jeder Yogapose, in der Natur, in jeder Beziehung, in unserer Kommunikation.
Nun lass uns die beiden Prinzipien einmal näher kennenlernen.
Sthira: Kraftvoll und gut verwurzelt deinen Weg gehen
Sthira zeigt sich im Gefühl, gut verwurzelt und stabil wie ein Baum mit der Erde verbunden zu sein – selbst wenn es um dich herum gewittert und stürmt. Beständig und widerstandsfähig in dir zu ruhen wie der berühmte Fels in der Brandung.
Sthira steht für gesunde Stärke und Ausdauer, die wir auch in den kraftvolleren Übungen im Yoga erleben und entwickeln können: Ah, meine Füße stehen fest auf der Matte und meine Muskeln spannen sich an. Wow, ich spüre meine Power – und oh, ich brauche auch innere Stärke und Disziplin, um diese Position noch ein paar Atemzüge zu halten!
In unserem Leben zeigt sich Sthira als die Fähigkeit, unseren Alltag zu strukturieren, Verantwortung zu übernehmen, ToDo’s zu erledigen und neue Herausforderungen zu meistern.
Sukha: Das Leben nicht zu schwer nehmen
Sukha hingegen ist die Fähigkeit, in einer Yoga-Pose oder in einer Situation zu entspannen, beweglich und flexibel zu bleiben – wie die Zweige und Blätter eines Baumes, die sich mit dem Wind sanft hin- und herbewegen. Oder wie ein sanft vor sich hinsprudelnder Fluss – oder ein Schwarm bunter Schmetterlinge, die in der Sonne tanzen. 🙂
Im Yoga und auch im Alltag lädt uns Sukha dazu ein, uns zurückzulehnen und Unterstützung anzunehmen: Toll, wie mein Atem frei und gleichmäßig fließt! Mhh, hier kann ich mich genüsslich strecken, räkeln, gähnen und in die Matte sinken lassen! Ohh, das fühlt sich wohlig und gemütlich an!
Wir lernen dadurch, unsere Bedürfnisse und unsere Grenzen wahrzunehmen und uns immer wieder Zeit und Raum zum Fühlen, Spüren und Genießen zu geben.
Sthira & Sukha im Gleichgewicht
Die Prinzipien von Stabilität und Leichtigkeit sind wie die zwei Seiten einer Münze. Beide sind wertvoll und bringen eine gesunde Balance in unser Leben.
Sthira gibt uns die notwendige Stabilität, Struktur und Kraft, um Herausforderungen zu meistern, produktiv zu sein und unser Leben zu gestalten. Mit Sukha kommen Leichtigkeit, Freude und Genuss dazu.
Wir können unsere Ziele verfolgen – und gleichzeitig unseren Alltag genießen und uns zwischendurch immer wieder Pausen gönnen. Wir können beim Yoga fest mit dem Boden verwurzelt und kraftvoll sein – und zugleich eine angenehme Weite und Leichtigkeit spüren.
Wie wir aus dem Gleichgewicht geraten: Die Schattenseiten von Sthira & Sukha
Das klingt toll, oder?
Manchmal machen wir aber die Erfahrung, dass wir “aus unserer Mitte geraten”. Dann kann es sein, dass wir nur eine dieser beiden Seiten erfahren – dass zu viel Stabilität oder zu viel Leichtigkeit unser Leben und unseren Alltag dominiert. Und dann erleben wir schnell die Schattenseite dieser beiden eigentlich so schönen Energien. Lass uns das einmal näher anschauen.
Zu viel Sthira führt zu Verbissenheit
Wenn wir nur Sthira in unserem Leben haben (oder im Yoga üben), können wir steif, verbissen, starr und angespannt werden. Innere Haltungen von:
- Ich muss stark sein,
- Ich darf/ will nicht bedürftig sein,
- Ich lass mir nichts anmerken,
- Ich bin selbst für alles verantwortlich oder
- Ich muss alles alleine schaffen
– das erleben wir in einer hektischen und leistungsorientierten Welt, in der lange Zeit das Prinzip von Sthira im Vordergrund stand.
Dieser Einzelkämpfermodus kann dazu führen, dass wir immer wieder und immer weiter über unsere Grenzen hinausgehen – wir werden angespannt, verbissen und gestresst.
Das heißt aber nicht, dass dieses Prinzip von Stärke, Verantwortungsbewusstsein, Klarheit, Stuktur, Motivation, Zielstrebigkeit usw. grundsätzlich falsch ist! Es kommt einfach auf das Maß an. Man könnte auch sagen: Die Dosis macht das Gift 😉
Zu viel Sukha führt zu Trägheit
Das Leben genießen, entspannen und uns flexibel an neue Situationen anpassen – das klingt wunderbar, oder? Doch auch hier gibt es ein Zuviel.
Wenn Sukha Überhand nimmt (oder wir die Sthira-Prinzipien von Disziplin, Kraft, Struktur oder Zielstrebigkeit innerlich ablehnen), dann fällt es uns schwer, unseren Alltag zu bewältigen, unsere Ziele zu erreichen und Verantwortung für unser Leben zu übernehmen.
Wir unterdrücken dann unsere natürliche Power und verschließen uns neuen Herausforderungen. So können wir in ein ewiges Opferbewusstsein versinken und immer darauf warten, dass jemand anders etwas für uns tut, statt selbst zu beginnen. Wir träumen und warten und kommen nicht ins Tun. Wir haben viele gute Ideen, setzen sie aber nicht um.
Zurück in die Balance finden
Klingt beides nicht so toll, oder? (Vielleicht hast du beim Lesen auch schon gemerkt: Ohje, da ist was im Ungleichgewicht bei mir. Da ist zu viel Starre und Struktur – oder zu viel Vermeidung und Trägheit.)
Das kann in den Bereichen unseres Lebens (z.B. Partnerschaft, Beruf, Familie, Hobbys) auch ganz unterschiedlich aussehen. Vielleicht magst du einmal genauer hinschauen und -spüren:
Übung: Eine Bestandsaufnahme machen
▸ In welchen Bereichen meines Lebens (z.B. Partnerschaft, Beruf, Familie, Hobbys) strenge ich mich übermäßig an und bin ganz verbissen (zu viel Sthira)?
▸ Und wo lasse ich die Dinge eher schleifen und gebe zu schnell auf, wenn ich nicht gleich ans Ziel komme (zu viel Sukha)?
Du kannst dabei auch in deinen Körper reinspüren: Vielleicht spannen sich deine Muskeln an und dein Atem wird ganz flach, wenn du an einen bestimmten Lebensbereich denkst? Oder fühlst du dich plötzlich ausgelagt, schwer und erschöpft, wenn du an einen anderen denkst? Gibt es Bereiche, bei denen du entspannt aufatmest und dich wohlfühlst?
So kannst du erkennen: In welchen Lebensbereich darf mehr Genuss und Freude einströmen (und Perfektionismus weichen)? Und in welchem Lebensbereich brauche ich mehr gesunde Disziplin, Ordnung und Struktur?
Balance im Yoga üben: der Baum (Vrikshasana)
Unser Ziel sollte eine gesunde Balance sein – eine liebevolle Beziehung, ein eleganter Tanz zwischen An- und Entspannung.
Das können wir zum Beispiel im Yoga erleben: Kraftvolle Posen wechseln sich ab mit Phasen zum Nachspüren und Entspannen. Und auch in jeder Yoga-Pose sind beide Elemente enthalten.
Ganz besonders gut lässt sich das an der Baum-Pose (Vrikshasana) erkennen. Dabei stehst du auf einem Bein und balancierst, während das andere Bein auf deinem Oberschenkel ruht.
Um nicht umzufallen, muss der Standfuß gut verwurzelt sein, die Muskeln in den Beinen und der Körpermitte aktiviert. Der Fokus sollte auf einen Punkt ausgerichtet sein, um die Konzentration und damit das Gleichgewicht besser zu halten. Das alles ist Sthira.
Doch ein Baum ist kein Laternenmast, der einfach nur fest dasteht und sich nicht bewegt – er ist lebendig und muss sich auch flexibel an verschiedene Wetterbedingungen anpassen. Wenn wir zu starr sind, verlieren wir leicht das Gleichgewicht.
Hier kommt Sukha ins Spiel: Wir atmen frei und breiten die Arme weit nach oben aus. Stirn und Kiefer dürfen entspannen und vielleicht kommt sogar ein (inneres) Lächeln zustande. Und wenn wir näher in das Standbein spüren, bemerken wir vielleicht: Wow, da sind viele Muskeln in Bewegung, die sich flexibel immer wieder neu ausgleichen und anpassen und so für unser Gleichgewicht sorgen.
Das alles ist die Leichtigkeit und Flexibilität, die Sukha in die Übung bringt.
Du siehst: Nur wenn wir sowohl Stabilität als auch Leichtigkeit in die Pose einbringen, können wir in Balance bleiben. Das kann erstmal ungewohnt sein:
Wir sind darauf konditioniert, dass wir uns erst anstrengen müssen, um damit letztlich etwas Angenehmes zu erreichen und zu bekommen, nach dem Motto: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Dabei können wir beides gleichzeitig erleben!
Balance im Alltag üben – heilsamen Ausgleich erlauben
Für unseren Alltag bedeutet das, dass wir auch in für uns unangenehme Situationen Leichtigkeit und Genuss bringen können – indem wir uns zum Beispiel auf unseren Atem oder die Verbindung zur Erde und zur Natur fokussieren.
Auch in Coachingsitzungen übe ich das mit meinen Klienten: Wir nähern uns einem Thema, einer Herausforderung – und pendeln dann zu etwas, das angenehm ist. Wir spüren Schwere oder Druck im Körper – und pendeln zu einer Körperstelle, die sich entspannt, weit, warm, fließend anfühlt.
So erweitern wir Schritt für Schritt unsere Wahrnehmung und können immer besser spüren: Uhh, das ist gerade herausfordernd für mich – und trotzdem kann ich auch etwas Schönes, Angenehmes spüren. Wow, da zeigt sich gerade mein innerer Schmerz – und gleichzeitig kann ich liebevolle Unterstützung wahrnehmen. Puh, da stresst mich gerade etwas – und ich kann auch den ruhigen Halt vom Boden unter mir fühlen.
Behutsam darf neue Struktur und Stabilität dort wachsen, wo sie wirklich gebraucht wird – und heilsame Entspannung dorthin gelangen, wo es bisher nur Anstrengung und inneres Festhalten gab.
Du darfst dich dort neu auf- und ausrichten, wo du bisher eher ziellos “zerflossen” bist. Du darfst dort aufatmen und in Fluss kommen, wo du bisher die Zähne zusammengebissen und dich innerlich angetrieben hast.
Schritt für Schritt zu neuer Ausgeglichenheit
Dabei geht es nicht darum, dein ganzes Leben mit einem Mal umzukrempeln. Schon kleine Dinge können für neue Balance sorgen.
Regelmäßige Mini-Genuss-Pausen können die disziplinierte Arbeit im Büro entspannter und schöner machen. Andersherum kann eine einfache Morgen- oder Abendroutine für eine heilsame, tragende Struktur im sonst eher wirbeligen Alltag sorgen.
Und vielleicht fallen dir auch direkt noch weitere einfache Möglichkeiten ein, für mehr Ausgleich im Alltag zu sorgen.
Welche Seite nimmst du am meisten in deinem Leben wahr? Auf welche Ebene möchtest du künftig mehr deinen Fokus legen?
Dieser Blogbeitrag ist Teil der 5-teiligen Serie “Yoga-Schatzkiste für den Alltag”. Hier findest du die anderen Beiträge:
▸ Chakra – entdecke die Landkarte deiner Lebenskraft (mit Test)
▸ Koshas – die 5 Ebenen der ganzheitlichen Kommunikation
▸ Mantra – Heilsame Worte für innere Ruhe (und wie du deins findest)
▸ Mudra – Haltungen für innere Stärke, Ruhe und Balance