Mudras spielen in der Yoga-Tradition eine wichtige Rolle. Sie können uns helfen, unsere Emotionen zu regulieren, Stress abzubauen oder neue Energie zu tanken. Hier erfährst du, was ein Mudra ist – und wie du „dein“ persönliches Mudra findest.
Was sind Mudras?
Bestimmt hast du schonmal einen Yogi im Meditationssitz gesehen – die Hände auf den Oberschenkeln ruhend, Daumen und Zeigefinger bilden jeweils ein „O“. Das ist das sogenannte Chin Mudra. Es ist eine Geste, die im Yoga und in der Meditation genutzt wird, um den Geist zu beruhigen und innere Ruhe zu finden.
Hier zeigt sich auch schon die Idee hinter Mudras (Sanskrit für Geste, Siegel): Unsere körperliche Haltung hat eine bestimmte Wirkung auf uns. Genauer gesagt: Wie wir unsere Finger, Hände oder auch den ganzen Körper halten und bewegen – das macht etwas mit uns.
Denn unser Körper ist mit Energiekanälen durchzogen. Und wie Wasserleitungen, die das Wasser im ganzen Haus verteilen, versorgen die Energiekanäle alle Bereiche unseres Körpers mit Lebensenergie (die Yogis nennen sie „Prana“, in der chinesischen Medizin ist es das „Chi“).
Indem wir bestimmte (Hand-)Haltungen einnehmen, können wir den Energiefluss in unserem Körper beeinflussen – und so zum Beispiel Stress abbauen, Emotionen ausgleichen oder für geistige Klarheit sorgen. Man könnte auch sagen:
Mudras sind eine Form der Kommunikation mit uns selbst. Sie wirken wie eine Art Schnellfunktion, um eine bestimmte innere Haltung oder ein Gefühl hervorzurufen.
Damit können Mudras für uns zu einer wertvollen Ressource auf unserem Entwicklungsweg werden. Und dabei gibt es drei schöne Nebeneffekte:
- Mudras können unsere Finger, Hände, Arme und Schultern beweglich und geschmeidig halten.
- Mudras eignen sich wunderbar dazu, um ins Spüren zu kommen und ein feinere Körperwahrnehmung zu trainieren („Was macht es mit mir?“).
- Die meisten Mudras sind recht unauffällig, sodass wir sie – ähnlich wie den Atem – in jeder erdenklichen Situation nutzen können, um uns zu sammeln, zu entspannen oder zu stärken.
Einfache Mudras: 5 Beispiele (mit Übung)
Im Folgenden stelle ich dir fünf einfache Mudras vor und lade dich ein zu erforschen, ob bzw. welche Wirkung das Mudra auf dich hat. Wähle dir dazu ein Mudra, das dich intuitiv anspricht, schließe die Augen – und konzentriere dich auf deinen Atem und die Empfindungen in deinem Körper.
Mudra für Einsteiger: Eine Übung vorab
Und vielleicht magst du zum Einstieg noch eine kleine „Vor-Übung“ ausprobieren:
Schließe die Augen und berühre nacheinander mit deinem Daumen deinen Zeige-, Mittel-, Ring- und kleinen Finger derselben Hand. Spüre dabei immer wieder aufs Neue in deinen Körper und achte auch darauf, wie dein Atem fließt (Schnell oder langsam? Tief oder flach?). Kannst du feine (oder auch größere) Unterschiede wahrnehmen, je nachdem, welchen Finger dein Daumen berührt?
(Wenn ich z.B. meinen Daumen und den kleinen Finger beim Atmen zusammenführe, vertieft sich meine Atmung spürbar. Wechsle ich und berühre mit dem Daumen einen anderen Finger, wird die Atmung weniger tief. Für mich war das eine spannende Erkenntnis. Und: Bei dir kann die Wirkung ganz anders sein.)
1. Añjali Mudra – die Geste des Grußes, des Gebets und der Zentrierung
Die Gruß- oder Gebetshaltung ist eine universale Geste, die nicht nur im Yoga, sondern in verschiedenen Kulturen und Religionen (z.B. auch im Christentum) genutzt wird. Wir kennen sie sogar als Emoji! 🙏🏽
Beide Hände werden dabei vor dem Herzen aneinander gelegt, die Daumen berühren das Brustbein.
Mir hilft diese Geste dabei, mich zu zentrieren, innerlich zu sammeln und ein Gefühl der Dankbarkeit und Wertschätzung zu erzeugen und auszudrücken.
In meinen Yogakursen nutze ich sie zur Begrüßung und Verabschiedung.
2. Prana Mudra – die Geste der Lebenskraft
Prana Mudra ist eine aktivierende Geste.
Der Daumen berührt dabei den Ring- und den kleinen Finger, während die anderen Finger gerade nach oben zeigen.
Diese Geste kann dazu beitragen, unsere Energie und Vitalität zu steigern. Ich finde, man spürt die Kraft direkt beim ersten Ausprobieren – wie ist es bei dir?
Auf mich hat diese Geste eine schöne aufrichtende und stärkende Wirkung – sie hilft mir dabei, meine persönlichen Grenzen deutlicher wahrzunehmen und entspannter für mich einzustehen.
3. Bhairava Mudra – für innere Ruhe und Entspannung
Das Bhairava Mudra kann hilfreich sein, um Stress abzubauen, das Nervensystem zu entspannen und in die Ruhe zu finden.
Die Haltung ist ganz einfach: Finde einen bequemen Sitz und lege die Hände zu einer Schale geformt in den Schoß – die eine Hand ruht in der anderen. Probier gerne auch mal aus, ob du einen Unterschied spürst, wenn du die Hände wechselst.
Diese Verbindung der beiden Hände in dieser Geste symbolisiert auch die Harmonie und das Gleichgewicht von Körper und Geist.
4. Hakini Mudra – für Klarheit und Konzentration
Hakini Mudra soll unsere Konzentration und unseren Fokus fördern und ausgleichend auf beide Gehirnhälften wirken. So kann es auch unsere Intuition und Kreativität ankurbeln.
Die Finger der rechten und der linken Hand werden dabei so aneinandergelegt, dass sich die Fingerkuppen jeweils berühren (so als würdest du einen imaginären Ball zwischen deinen Händen halten).
Fun Fact: Das Hakini Mudra wird manchmal auch „Merkel-Mudra“ genannt – erkennst du warum? 😉
5. Tse Mudra – für Halt und Geborgenheit
Eines meiner liebsten Mudras – neben Anjali Mudra 🙏🏽 – ist das Tse Mudra. Ich habe diese Geste schon genutzt, als ich noch nichtmal wusste, dass sie ein Mudra ist. 😉
Lege dazu einfach den Daumen in die Handfläche und umschließe ihn sanft mit den anderen 4 Fingern, sodass eine (nicht zu feste) Faust entsteht.
Tse Mudra schenkt mir Gefühle von Ruhe, Geborgenheit und Halt in herausfordernden Momenten – und ist dazu noch schön unauffällig und damit super geeignet für Gespräche oder Meetings. (Oft ballen wir in herausfordernden Situationen unbewusst die Hände zusammen, um nach Halt zu suchen.)
Zudem soll Tse Mudra dabei helfen, Wut zu verarbeiten bzw. durchfließen zu lassen – und damit beruhigend wirken.
Körperhaltungen als Mudra
Neben Finger- und Handhaltungen kann auch unsere Körperhaltung zu einem Mudra werden.
Yoga-Haltungen, in denen wir uns nach vorn beugen, wie die Stellung des Kindes wirken beispielsweise eher beruhigend, erdend und zentrierend. Deshalb nutzen wir sie beim Yoga oft zum Nachspüren und Verschnaufen: Ach schön, ich darf kurz Pause machen und ausruhen.
Eine Rückbeuge wie der 1. Held wirkt dagegen eher öffnend und aktivierend. Mit der Heldenhaltung drücken wir über den Körper aus: Ich bin da und öffne mich dem, was kommt. Kraftvoll und präsent nehme ich meinen Platz ein und visiere mein Ziel an.
In der Baum-Haltung können wir diese beiden Qualitäten zusammen wahrnehmen und in Balance bringen: Nach unten hin verwurzeln wir uns möglichst stabil, damit wir nach oben hin mit den Armen flexibel und weit werden können.
Indem du wahrnimmst, was du heute brauchst, lernst du dich, deine Bedürfnisse und deinen Körper immer besser kennen: Möchte ich mich heute eher der Welt öffnen (z.B. mit Rückbeugen oder Übungen mit ausgebreiteten Armen) oder ist mir eher nach innerer Einkehr und Rückzug (z.B. mit Vorbeugen und geschlossenen Augen)? Ist mir eher nach einer kraftvollen, fließenden Praxis mit vielen Standhaltungen – oder nach einer „bodennahen“, ruhigen Praxis?
Du siehst: Wenn wir die Haltung unseres Körpers als Ausdruck unserer Seele betrachten, lernen wir uns immer besser kennen – denn der Körper zeigt uns jederzeit wahrhaftig, wie es uns gerade geht und was wir wirklich brauchen.
Und nun: Finde „dein“ Mudra
Genauso wie ein indviduelles Mantra uns in herausfordernden Situationen dabei helfen kann, uns zu fokussieren oder Zuversicht zu gewinnen, kann auch ein Mudra genutzt werden, um ein angenehmes Gefühl wie innere Ruhe, Kraft oder Zuversicht zu „ankern“.
Darum lade ich dich ein zu erforschen, welche Geste dich heilsam unterstützen könnte. Probiere verschiedene Mudras aus und nimm dir Zeit, um zu spüren, wie dein Körper, dein Atem und auch deine Emotionen auf die Handpositionen reagieren.
Ich wünsche dir viel Freude beim Erkunden!
Dieser Blogbeitrag ist Teil der 5-teiligen Serie “Yoga-Schatzkiste für den Alltag”. Hier findest du die anderen Beiträge:
▸ Chakra – entdecke die Landkarte deiner Lebenskraft (mit Test)
▸ Koshas – die 5 Ebenen der ganzheitlichen Kommunikation
▸ Mantra – heilsame Worte für innere Ruhe (und wie du deins findest)
▸ Sthira & Sukha: Wie du dein Leben in Balance bringen kannst