Sprache ist mächtig. Sie kann verbinden und entzweien, wirkt mal skalpellscharf, mal einlullend, mal aufrüttelnd. Dieses Wissen können wir uns zunutze machen – und damit unser Wohlbefinden stärken. Heute: Warum uns ein “und” oft weiterbringt als ein “aber”.
“Wenn ich Flügel hätte, würde ich im Winter gen Süden fliegen, aber ich habe keine.” oder: “Wenn ich Millionärin wäre, würde ich morgen aufhören zu arbeiten, aber ich habe keine Million auf dem Konto.”
Das Wort “aber” ist dazu gedacht, Widersprüche zu formulieren. Wir würden gern etwas für uns Unmögliches tun oder haben – aber wir haben nun einmal keine Flügel, und die meisten auch keine Million auf der hohen Kante. In Ordnung, da ist (jedenfalls im Augenblick) nichts zu machen.
Anders ist es, wenn sich das “aber” in unseren Gesprächen auf unsere inneren Vorgänge – Gefühle, Gedanken oder Erinnerungen – bezieht:
- “Ich würde gerne mal wieder Sport machen, aber ich kann mich nicht motivieren.”
- “Ich möchte das Problem mit meinem Chef klären, aber er ist so cholerisch.”
- “Ich müsste dringend zum Zahnarzt, aber ich habe Angst vor der Untersuchung.”
Lies einmal die Sätze und spüre in dich hinein. Wie fühlen sie sich an? Welcher Teil der Botschaft kommt an?
Gemütlich in der Opferrolle
Du hast es sicher schon bemerkt: “Aber” dient in diesen Fällen als Rechtfertigung oder Ausrede. Das Wörtchen entkräftet alles, was davor gesagt wird. Übrig bleiben die Botschaften: “Ich kann mich nicht motivieren”, “die Chefin ist zu cholerisch” und “ich habe Angst”.
Ein “aber” macht uns unmündig und stellt uns als Opfer vermeintlich höherer Gewalt – Stress, andere Menschen, Angst – dar.
Dabei sind es in Wirklichkeit oft ganz andere, dafür aber weniger salonfähige Gründe, die uns abhalten: WIR haben einfach keine Lust auf das Treffen mit der Bekannten (schieben aber Zeitmangel vor). WIR haben Angst vorm Zahnarzt, weil wir einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben (und nehmen das als “Entschuldigung” für alle folgenden Untersuchungen).
Das Hemmnis, das eigentlich in uns selbst liegt, wird mit dem Wort “aber” auf das Außen geschoben. Das macht uns machtlos, versetzt uns in die Situation, dass wir die Dinge nicht selbst ändern können. Nach dem Motto: “Ich kann doch nix dafür”.
Die eigene Macht zurück gewinnen…
Wie wir unsere Macht über die Situation zurückgewinnen können? Indem wir ein “und” an die Stelle des “aber” setzen:
- “Ich würde gerne mal wieder Sport machen, und ich bräuchte mehr Motivation, denn die fehlt mir oft.”
- “Ich müsste dringend zum Zahnarzt, und ich bräuchte jemanden, der mich zur Untersuchung begleitet, damit ich weniger oder keine Angst bei der Untersuchung habe.”
Wie fühlen sich diese Sätze für dich an? Hat sich etwas geändert?
Ich finde: Mit einem “und” wird die Aussage offener. Wir erhalten damit die Macht zurück, die Dinge so zu ändern, wie wir sie uns wünschen.
Denn es liegt einzig an uns, eine Situation zu ändern, die uns nicht gefällt. Ein “und” regt uns zum Nachdenken über mögliche Lösungen an: Was fehlt mir wirklich? Was brauche ich? Und was kann ich tun?
… und allen Gefühlen Raum geben
Zudem wirkt ein “aber” tendenziös:
“Ich freue mich auf den Umzug, aberich bin auch traurig, dass ich meine alte Wohung verlassen muss.”“Ich bin traurig, dass ich meine alte Wohung verlassen muss, aberich freue mich auch auf den Umzug.”
Oberflächlich betrachtet sagen die beiden Sätze dasselbe aus. Doch der Fokus liegt jeweils auf einer beiden Aussagen, auf einem der beiden benannten Gefühle: beim ersten auf der Trauer, beim zweiten auf der Freude.
Anders fühlt es sich an, wenn man die Aussagen mit einem “und” verbindet:
- “Ich freue mich auf den Umzug und bin gleichzeitig traurig, dass ich meine alte Wohung verlassen muss.”
- “Einerseits freue ich mich auf den Umzug, andererseits bin ich traurig, dass ich meine alte Wohung verlassen muss.”
Und am Beispiel des cholerischen Chefs:
“Ich möchte das Problem mit meinem Chef klären, aber er ist so cholerisch.”- “Einerseits möchte ich das Problem mit meinem Chef klären, andererseits habe ich Angst davor, dass er wütend reagiert.”
Die Worte “und”, “einerseits/andererseits”, “gleichzeitig” etc. signalisieren: Beides darf sein. Beide Gefühle oder Gedanken sind in mir präsent, beide dürfen gleichwertig nebeneinander stehen. Das verschafft ihnen den nötigen Raum – und uns mehr innere Ruhe.
Ganz wichtig: Fühlen statt büffeln
Noch eine Anmerkung: Es geht mir nicht darum, Sprachregeln aufzustellen und zwanghaft das Wort “aber” zu vermeiden. Vielmehr ist es hilfreich, den Effekt zu kennen und die feinen, aber doch so kraftvollen Unterschiede der Aussagen von “und”- und “aber”-Sätzen zu spüren. Und sich dieses intuitive Wissen zunutze zu machen – für mehr Leichtigkeit im Alltag. ∞