Gefühle gelten manchmal als unberechenbar, überbewertet oder gar störend. In der gewaltfreien Kommunikation aber nehmen sie eine zentrale Rolle ein: Sie sind unsere inneren Wegweiser, die uns zeigen, was uns gerade wirklich wichtig ist – und was wir brauchen. In diesem Podcast + Blogartikel erfährst du, warum Gefühle so wichtig sind – und was sie mit unseren Bedürfnissen zu tun haben.
Hier kannst du die Podcast-Folge anhören (erschienen am 12.11.2019):
Kurzer Rückblick: Sauerstoff & Bedürfnisse
Bevor wir ins Thema einsteigen, noch ein Gedanke zur letzten Folge. Da habe ich dir als Bild für unsere Bedürfnisse die Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling mitgegeben – wie ich finde eine schöne Metapher für das Gemeinsame, das wir in uns tragen.
Und dann ist mir noch aufgefallen: Meine Webseite heißt sauerstoffe.com – und auch das ist ein passendes Bild.
Denn genau wie Sauerstoff, brauchen wir Bedürfnisse, um zu leben.
Alle Menschen atmen. Alle Menschen streben nach Nähe, Sicherheit, Freiheit, Sinn. Bedürfnisse sind der Sauerstoff unseres Lebens – universell, lebensnotwendig und verbindend.
Was Gefühle wirklich sind
Kommen wir zu den Gefühlen – dem Thema dieser Folge.
Du hast vielleicht schon mal Sätze gehört wie:
- „Ich bin total wütend!“
- „Ich fühle mich gerade so alleine.“
- „Ich bin glücklich, wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin.“
Gefühle sind uns vertraut – und gleichzeitig schwer zu greifen.
In der gewaltfreien Kommunikation gilt eine klare Definition:
Gefühle sind Signale, die anzeigen, ob unsere Bedürfnisse erfüllt sind oder nicht.
Ganz einfach. Wie die Akkuanzeige auf deinem Smartphone.
🔋 Grün? – Alles okay.
🔋 Rot? – Zeit zum Nachladen.
Wenn du dich also glücklich, zufrieden oder entspannt fühlst, heißt das: Deine Bedürfnisse sind gerade erfüllt.
Wenn du wütend, traurig, gestresst oder frustriert bist, heißt das: Mindestens ein Bedürfnis ist unerfüllt.
Gefühle = innere Botschaften
Gefühle sind keine Störenfriede. Sie sind Hinweise.
Sie zeigen dir, dass etwas in deinem Inneren gerade Aufmerksamkeit braucht.
Deshalb unterscheidet die gewaltfreie Kommunikation auch nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Gefühlen.
Es gibt nur Gefühle auf Basis erfüllter oder unerfüllter Bedürfnisse.
Das klingt ungewohnt, macht aber viel Sinn. Denn jedes Gefühl hat eine Funktion. Es kommt nicht, um dich zu ärgern – sondern um dir zu helfen.
Beispiel: Wut ist ein Geschenk
Wut ist ein gutes Beispiel. Sie hat keinen guten Ruf.
Wut gilt als laut, aggressiv, unkontrollierbar. Dabei ist sie ein enorm kraftvolles Gefühl – wenn man sie versteht und bewusst nutzt.
Die Wut zeigt dir, dass eine Grenze überschritten wurde.
Dass etwas nicht stimmt. Und sie schenkt dir Energie, um das zu ändern.
Der Enkel von Mahatma Gandhi, Arun Gandhi, hat sogar ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Wut ist ein Geschenk“. Darin beschreibt er, wie sein Großvater die Wut auf gesellschaftliche Ungleichheit in Indien konstruktiv genutzt hat – als Motor für Veränderung.
Fazit: Nicht das Gefühl ist das Problem. Sondern das, was wir daraus machen.
Auch Angst hat ihre Funktion
Ein weiteres Beispiel ist die Angst.
Sie kann dich lähmen – oder dich beschützen.
Sie kann dich in deiner Komfortzone halten – oder dir zeigen, dass du gerade einen mutigen Schritt machst.
Wenn du die Angst erkennst, sie wahrnimmst und ihr zuhörst, dann kannst du entscheiden, wie du mit ihr umgehst.
Vielleicht gehst du trotzdem los – und wirst mutiger mit jedem Schritt.
Gefühle wollen gefühlt werden
Ein weiterer wichtiger Punkt:
Gefühle sind körperliche Empfindungen, die kommen und gehen.
Vielleicht denkst du jetzt: „Gefühle? Körperlich? Ist das nicht eher etwas Psychisches?“
Doch wenn du mal genau hinschaust, merkst du: Wir fühlen Gefühle zuerst im Körper.
Beispiele aus dem Alltag:
- „Ich habe Wut im Bauch.“
- „Mir sitzt die Angst im Nacken.“
- „Mein Herz rast.“
- „Ich habe Schmetterlinge im Bauch.“
- „Mir schnürt es die Kehle zu.“
Unser Körper reagiert zuerst – dann folgt der Verstand.
Das zeigt sich auch in Studien: Wenn wir z. B. bewusst lächeln, beginnt der Körper Glückshormone auszuschütten. „Fake it till you make it“ ist kein Mythos – es ist Biochemie.
Gefühle kommen – und gehen
Wenn wir unsere Gefühle bewusst wahrnehmen, einfach hinspüren und sagen:
„Ok, da ist jetzt Wut, ich nehme sie wahr“,
dann löst sich das Gefühl meist von allein wieder auf.
Problematisch wird es nur, wenn wir sie unterdrücken, verdrängen oder uns darüber ärgern, dass wir sie haben. Dann bleiben sie stecken. Oder kommen umso heftiger zurück.
Wie ein Gummiball, den man unter Wasser drückt: Je länger man ihn unten hält, desto stärker springt er zurück an die Oberfläche.
Gefühle sind keine Schwäche
Ein weit verbreitetes Missverständnis:
Gewaltfreie Kommunikation bedeutet, dass man nicht wütend sein darf. Dass man ruhig, sanft, kontrolliert sein muss.
Aber genau das stimmt nicht.
Gewaltfrei kommunizieren heißt nicht, keine Wut zu haben – sondern bewusst damit umzugehen.
Wut, Angst, Traurigkeit – sie alle dürfen da sein.
Erst wenn wir sie anerkennen, können wir sinnvoll mit ihnen umgehen.
Alle Gefühle gehören dazu
Das Leben ist nicht nur Glitzer, Regenbogen und Konfetti.
Alle Gefühle machen es lebendig – nicht nur die angenehmen.
Traurigkeit, Wut, Angst, Freude, Liebe, Zuversicht – sie alle gehören zur menschlichen Erfahrung.
Sie helfen dir:
- deine Bedürfnisse zu erkennen,
- dich mit dir selbst zu verbinden,
- und mit anderen klarer zu kommunizieren.
Oder wieder als kleines Gedicht formuliert:


Was du mitnehmen kannst
- Gefühle sind Signale für deine Bedürfnisse.
Wenn ein Gefühl auftaucht, frag dich: Welches Bedürfnis steckt dahinter? - Gefühle sind körperlich.
Spür hin: Wo im Körper zeigt sich das Gefühl gerade? - Gefühle kommen und gehen.
Wenn du sie zulässt und nicht bekämpfst, verflüchtigen sie sich oft von selbst. - Kein Gefühl ist schlecht.
Alle Gefühle haben eine Funktion. Sie arbeiten für dich – nicht gegen dich. - Du darfst wütend sein.
Gewaltfrei heißt nicht emotionsfrei. Es heißt: bewusst, respektvoll, verbunden.
Mini-Impuls für die Woche
Nimm dir jeden Tag ein paar Minuten Zeit und frage dich:
Was fühle ich gerade? Und welches Bedürfnis zeigt sich durch dieses Gefühl?
Beobachte einfach. Bewerte nicht.
Erkenne, was da ist – und nimm es ernst.
Das ist der erste Schritt in Richtung echter Verbindung – mit dir selbst und mit anderen.
Beim nächsten Mal geht es weiter mit dem Thema Beobachtung – und warum es so wichtig ist, zwischen Wahrnehmung und Bewertung zu unterscheiden.
Dies ist Teil 2/4 meiner Reihe zu den Basics der Gewaltfreien Kommunikation. Zu den anderen Teilen geht’s hier:
- Teil 1: #008 Podcast: Bedürfnisse: das Herz der gewaltfreien Kommunikation (gewaltfreie Kommunikation Basics 1/4)
- Teil 3: #010 Podcast: Schubladen im Kopf: Bewertest du noch oder beobachtest du schon? (gewaltfreie Kommunikation Basics 3/4)
- Teil 4: #011 Podcast: Wie bitte? Wie du eigenverantwortlich bittest statt zu fordern (gewaltfreie Kommunikation Basics 4/4)